25 Jahre Vernetzungstreffen der Informatik-Graduiertenkollegs: Interview mit Professor Otto Spaniol

Interview mit Professor Otto Spaniol, bis 2010 Lehrstuhlinhaber für Informatik an der RWTH Aachen, zum 25jährigen Jubiläum der Vernetzungstreffen der Informatik-Graduiertenkollegs in Schloss Dagstuhl online geführt am 1.6.2021 als Teil des Vernetzungstreffens 2021. Die Fragen stellte Professor Felix Freiling, FAU. Die Transkription erfolgte durch Lena Lucia Vogt, FAU.

Freiling: Vor 25 Jahren fand das erste von inzwischen 21 Vernetzungstreffen der Informatik und informatiknaher Graduiertenkollegs in Schloss Dagstuhl statt. 1996 waren Graduiertenkollegs ein recht neues Förderinstrument. Welchen Status hatten diese damals?

Spaniol: Graduiertenkollegs gibt es schon seit Anfang der 1990er, also länger als 25 Jahre. Damals konnte sich kaum jemand etwas Konkretes unter diesem Begriff vorstellen. Förderungstechnisch sah das aber ziemlich verheißend. In Aachen gab es zudem einen Bedarf an Promovierenden, die über den Tellerrand ihrer eigenen Fakultät hinausschauen wollten oder mussten. Die verschiedenen Fakultäten waren sehr unterschiedlich. Zum Beispiel gab es eine Fakultät MIN (für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften), eine Fakultät für Maschinenwesen, eine für Medizin, eine für Wirtschaftswissenschaften und so weiter. Insgesamt 9 solcher Gebilde.
Normalerweise gab es nicht so viel Interfakultatives. Wir haben das Instrument der Graduiertenkollegs dann genutzt, um alle „Freaks“, die sich mit Informatikthemen in gewisser Weise beschäftigten, zusammenzufassen. Der damalige Titel „Informatik und Technik“ würde heutzutage niemals mehr eine Chance auf Bewilligung haben, wurde er aber bewilligt. Wir organisierten eine regelmäßige Veranstaltung jede Woche mittwochs um zehn Uhr, wo die beteiligten Graduierten unterschiedlicher Fakultäten sich gegenseitig über ihre Fortschritte informierten. Das war damals eine Sensation in Aachen, und es läuft bis heute sehr gut. Ebenso revolutionär war damals die Einführung eines Zwei-Betreuer-Systems: ein Erstbetreuer und dazu ein Zweitbetreuer aus einer anderen Fakultät, der mit ein bisschen Abstand auf die Thematik blicken sollte. Das hat so lange gut funktioniert wie die Betreuer vor Ort beschäftigten. Aber wenn zum Beispiel aus Neuseeland oder aus Australien ein Betreuer dabei war, dann war die direkte Betreuung eher marginal.
Freiling: Bei den ersten Vernetzungstreffen waren immer Sie Organisator oder Co-Organisator. Wie kam es zu diesen Treffen?
Spaniol: Die Idee der Vernetzungstreffen kam dem Wunsch der DFG entgegen, dass sich verschiedene Kollegs untereinander vernetzen sollten, was damals und auch heute aber selten ist. Nach ein paar kleineren Versuchen mit Kollegen in Paderborn verfiel ich auf das Informatik-Begegnungszentrum in Dagstuhl, wo man sehr angetan von dieser Idee war. Daher haben wir 1996 das erste Mal ein Treffen mit Graduiertenkollegs aus Karlsruhe, Stuttgart, Paderborn, Darmstadt und natürlich Aachen ausgerichtet. Und später natürlich für unser Nachfolgekolleg „Software für mobile Kommunikationssysteme“. Dass wir damit eine kleine Tradition begründeten, war zunächst nicht wirklich abzusehen. Wir haben dann auch noch weitere Graduiertenkollegs eingeladen, die unbedingt dabei sein wollten. Irgendwann wurden es dann sogar zu viele.
Freiling: War das 2011 und 2012, wo es jeweils zwei aufeinanderfolgende Vernetzungstreffen im gleichen Jahr in Dagstuhl gab?
Spaniol: Es hatte sich offenbar herumgesprochen, dass „Dagstuhl“ bei den Promovierenden gut ankommt. Wegen der großen Menge war es bald ziemlich problematisch, ein gemeinsames Thema zu finden. Die Kollegiaten konnten mit den anderen nicht unbedingt viel anfangen.
Freiling: DFG-Recherchen zufolge gibt es bei den Graduiertenkollegs nur ein anderes Fach, das sich regelmäßig trifft: die Medizin. Aber irgendwie scheint die Tradition in der Informatik doch die stärkste zu sein. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Spaniol: Wir haben es halt gemacht, und die anderen eben weniger. In der Informatik war man natürlich auch damit gesegnet, dass wir dieses schöne Zentrum in Dagstuhl haben. Das haben wir auch weidlich genutzt.
Freiling: Das Treffen wird zwar 2021 Pandemie-bedingt zum zweiten Mal online durchgeführt. Aber welchen Beitrag leistet Dagstuhl zu dieser Tradition?
Spaniol: Wir haben uns jeweils sehr früh eine Dagstuhlwoche im Sommer gesichert, weil man dann die Natur etwas genießen konnte mit abendlichen Fahrradtouren zum Bostalsee zum Beispiel. Die einmalige Atmosphäre und gute Organisation in Dagstuhl waren optimal. Wenn man Dagstuhl nicht schon längst hätte, müsste man es dringend erfinden.
Freiling: Wir haben ja dieses Jahr auch einen Tagungsband, in dem es kurze Abstracts der beteiligten Promovierenden gibt. War das am Anfang auch schon so?
Spaniol: Manchmal haben wir einen echten Lecture Notes-Band bei Springer gemacht. Die Kurzberichte, die über die Webseite von Dagstuhl stehen, sind mittlerweile ja Standard.
Freiling: Neben der Möglichkeit des Tagungsbands: Was macht für Sie den Wert von solchen Vernetzungstreffen aus? Was bringt es tatsächlich, den PIs auf der einen Seite und den Promovierenden auf der anderen Seite?
Spaniol: Den PIs bringt es natürlich eine bessere Sichtbarkeit, nicht nur national, sondern auch international, wie sich gezeigt hat. Den Promovierenden, die mitmachen, bringt es eine schöne Möglichkeit für Fortschritte bei ihrer Promotion. Die maximale Förderzeit von drei Jahren war natürlich irgendwie unrealistisch. Das hat kaum einer geschafft. Einige Kollegs haben die drei Jahre dadurch eingehalten, dass sie Kandidaten kurz vor Ende ihrer normalen Förderung noch ins Kolleg geschoben haben – mit Dissertationslaufzeiten von 6 oder 12 Monaten. Das war aber nicht unser Petitum, sondern bei uns waren das ganz normale Stellen. Die waren anfangs teilweise nicht immer sehr beliebt, weil man als Stipendiat finanziell schlechter gestellt war als jemand auf einer anderen Drittmittelstelle. Es gab anfangs auch Vorbehalte aus dem Maschinenbau, weil den Graduiertenkollegiaten durch die fehlende Projektarbeit angeblich der „Stallgeruch“ der Ingenieursarbeit fehlte. Inzwischen sind die Graduierten aber auch bei den Ingenieuren völlig anerkannt.
Freiling: Gab es auch inhaltliche Zusammenarbeit zwischen einzelnen Graduiertenkollegs?
Spaniol: Die eigentliche Idee der Vernetzungstreffen war, echte Zusammenarbeit zwischen den Kollegiatinnen und Kollegiaten aus verschiedenen Kollegs zu fördern. Das ist relativ selten wirklich zustande gekommen. Oft sind nach Dagstuhl Leute entsandt worden, die schon relativ weit mit ihrer Promotion waren, damit sich die Heimatorte nicht blamierten. Diese Kollegiaten waren dann eher an der Fertigstellung ihrer Dissertation interessiert als an Zusammenarbeit. Aber es gab in einzelnen Fällen eine sehr gute und echte Zusammenarbeit über Kolleggrenzen hinweg. Denn es war sehr hilfreich zu sehen, woran andere Disziplinen arbeiten und dass die Probleme, mit denen man dort zu kämpfen hat, gar nicht so weit entfernt waren von den eigenen.
Freiling: An welche besonderen Ereignisse erinnern Sie sich noch?
Spaniol: Es gab auch traurige Ereignisse, beispielsweise eine Fahrradtour, auf der es einen schweren Unfall gab. Dort ist ein Motorradfahrer mit einer 250 Kilogramm schweren Yamaha ungebremst in eine Gruppe von Fahrradfahrern hineingefahren. Es mussten einige Leute ins Krankenhaus, unter anderem auch ich. Das hat die Begeisterung für Fahrradtouren etwas gebremst.
Aber es gab auch lustige Begebenheiten, denn wir haben ja die Vorträge in englischer Sprache gehalten – und da wurde beispielsweise das Wort „determine“ oft ziemlich falsch ausgesprochen, nämlich so wie „Dieter Mein“. Das klang wie aus einer Fernsehshow, in der Dieter Bohlen dabei war. Und ich habe dann gedichtet: „Dieter mein Dieter, trink doch nicht mehr als 20 Liter“. Nachher hat das keiner mehr falsch ausgesprochen.
Freiling: Herr Spaniol, meine Fragenliste ist damit zu Ende. Vielen Dank an Sie für das Interview. Ich wünsche noch gute Gesundheit und einen möglichst langanhaltenden Unruhestand. Vielen Dank aber auch an Klaus Wehrle, Helen Bolke-Hermanns und Kai Jakobs, die den Kontakt hergestellt und sich um die Technik gekümmert haben.
Spaniol:Den Dank gebe ich gern zurück. Es hat mich gefreut, hier mitmachen zu dürfen.